Verborgen ist die Seele eines Menschen
in seinem Wesen, seinem Denken, seinem Tun, seiner Kreativität.
Erleben lässt sich die Seele einer Region, eines Landes
in der Landschaft, der Witterung, in Flora und Fauna, in der Fülle von Kunst und Kultur.
Die Seele Europas spiegelt das Leben der Menschen:
der glatte Oberfläche einer Wasserfläche,
gekräuselt durch den Wind – dem göttlichen Hauch –
zerrissen und wieder gefügt in kleinen Wellen
mit glitzernden Funken an der Oberfläche,
getragen durch die dunkle Tiefe,
dem Grund, aus der die Erinnerung aufsteigt.
In kleinen Dingen steckt die Seele:
in der Vielfalt, der Verschiedenheit;
wie die Buntheit eines Mosaiks – kein Stein gleicht dem anderen –
erst von Weitem gesehen fügt sich das Bild.
Nicht wie ein Puzzle, wo ein Teil sich nahtlos ans andere fügt,
sondern ein Kaleidoskop, in dem die glitzernden Teilchen an den Rändern sich reiben,
ein Patchwork mit Nähten und Rissen – Wunden der Geschichte – immer wieder geflickt
und durch neue Flecken ergänzt.
Eine Decke zum Schutz der Erde – wenigstens eines Teils,
eingefasst durch ein blaues Band, dem Himmel gleich oder dem Meer.
Liberté, Fraternité, Égalitée – gilt dies auch heute und in der Zukunft?
Toleranz und Verbundenheit.
Und das geheimnisvolle Lächeln der Mona Lisa.
Uraltes Wissen, Märchen, Sagen, Überlieferungen,
Bilder, die in den Köpfen aus Gedanken geboren werden,
Sprachen, die gleichzeitig trennen und verbinden,
Farben, Düfte, Geschmäcker – Kochrezepte, die Grenzen überwinden,
Dillkraut im Norden und Basilikum im Süden,
im Teilen von Wein und Brot offenbart sich die Seele Europas.
…
Die Seele freilegen
mit kleinen Schritten
sich annähern, begegnen –
in der gemeinsamen Vergangenheit
die Zukunft finden.
—
Rosi Grieder Bednarik © 2005
2. Preis beim Wettbewerb des NÖ Kulturforums »auf der suche nach der europäischen seele« St. Pölten 2005, abgedruckt in der Festschrift, S. 32.